Wolfgang Nickel während der Grundsteinlegung.
(Fotograf: Oliver Hebel)
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, verehrte Kolleginnen und Kollegen aus Stadtverordnetenversammlung und Magistrat, lieber Herr Dr. Gutmark, sehr geehrte Frau Willecke, meine Damen und Herren,
eine Idee beginnt, Realität zu werden. Heute gehen wir den ersten Schritt. Heute legen wir den Grundstein für ein Mahnmal, welches an das dunkelste Kapitel der deutschen Vergangenheit erinnert. Ein Mahnmal, welches uns bewusst macht, dass unter der Herrschaft der Nationalsozialisten auch in unserer Stadt Menschen jüdischen Glaubens verschleppt, in Konzentrationslager deportiert und schließlich ermordet wurden.
Das Mahnmal am Michelsberg soll ins Bewusstsein rücken, dass die Shoah auch ein Teil unserer eigenen Stadtgeschichte ist, und nicht nur irgendwo im fernen Berlin oder Nürnberg geschah. Wie in vielen anderen deutschen Städten brannten auch die Wiesbadener Synagogen. Auch bei uns wurden Menschen jüdischen Glaubens nicht vor dem Wüten des nationalsozialistischen Ungeistes bewahrt.
Daran soll das Mahnmal erinnern. Die Namen aller Wiesbadener Bürgerinnen und Bürger, von denen wir wissen, dass sie der Shoah zum Opfer fielen, werden hier unauslöschlich aufgeführt sein. Ein beleuchtetes Schriftband in Augenhöhe nennt die Namen der Opfer. Diese werden damit aus der Anonymität ans Licht geholt und bekommen im öffentlichen Raum ihre Identität.
So wird Erinnerung persönlich, und so setzt das Mahnmal ein unverwechselbares Zeichen in unserer Stadt.
Jeder soll wissen und spüren: Die, die hier genannt sind — das waren unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Auch wir in Wiesbaden wollen und müssen die Auseinandersetzung mit dem damaligen Geschehen führen. Ich halte das für sehr wichtig, denn eine Stadtgesellschaft braucht zu ihrer Selbstachtung gerade auch den ehrlichen
Umgang mit ihrer eigenen Vergangenheit.
Die Wunde, die dem Stadtbild damals mit der Zerstörung der Synagoge zugefügt wurde, wird heute nicht geschlossen. Denn die Synagoge bauen wir nicht neu, sondern ihr Umriss wird auf dem Boden des Mahnmals und auf der Fahrbahn lediglich angedeutet. Es ist aber auch nicht das wesentliche Ziel des Bauwerks, Altes zu kopieren oder gar zu heilen, was nicht zu heilen ist. Das, was hier entsteht, ist letztlich Stein gewordene Verantwortung.
Eine Verantwortung, die uns unsere Stadtgeschichte auferlegt hat. Eine Verantwortung, die uns in Zukunft verpflichtet: Nie wieder dürfen in Wiesbaden Gotteshäuser brennen, gleich welcher Glaubensrichtung. Nie wieder soll in unserer Stadt Raum sein für Hass und Gewalt gegen unsere Mitbürger. Nie wieder dürfen Menschen, die hier mit uns leben, Opfer von Terror, Verfolgung und Vernichtung werden.
Wir alle, jede Bürgerin und jeder Bürger, jede Politikerin und jeder Politiker, jeder, der hier seine Heimat hat, trägt dafür eine Mitverantwortung. Jeder an seinem Platz hat seinen Teil dazu beizutragen, dass in Wiesbaden ein Klima des inneren Friedens und der gegenseitigen Toleranz herrscht. Herausstehlen kann sich da niemand. Wie alle großen Projekte hat auch unser Mahnmal zum Namentlichen Gedenken eine lange Vorlaufzeit. Viele arbeiteten mit, von den ersten Visionen, Ideen und Konzepten über eine immer weiter konkretisierte Planung bis hin zur Errichtung, deren Beginn wir mit der heutigen Grundsteinlegung offiziell feiern. Unter der professionellen Regie der SEG fanden zahllose Arbeitsgruppensitzungen statt. Die Architektin, Frau Willecke, hat mit Ihrem Team einen hervorragen den Entwurf gestaltet. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung, insbesondere das Stadtarchiv und das Stadtplanungsamt, haben engagiert mitgearbeitet. Das Mahnmal wäre undenkbar ohne die überaus wertvollen Beiträge der Jüdischen Gemeinde und des Aktiven Museums Spiegelgasse. Sie haben entscheidenden Anteil an Aussage, Zielsetzung und Sinn des Mahnmals. Allen, die mitwirkten und noch weiter mitarbeiten werden, gilt mein großer Dank.
Einen Namen will ich ganz besonders nennen. Für Angelika Thiels, meiner Vorgängerin im Amt des Stadtverordnetenvorstehers, war das Mahnmal zum Namentlichen Gedenken eine Herzensangelegenheit. Mit ihrer ganzen Kraft, mit großer Leidenschaft und mit der ihr eigenen unbändigen Energie hat sie dieses Projekt vorangetrieben. Leider darf sie die heutige Grundsteinlegung nicht mehr erleben. Angelika Thiels hat immer betont, wie froh sie sei, dass das Projekt in großer überparteilicher Übereinstimmung realisiert wird und nicht Gegenstand eines kleinlichen Parteienstreits ist. Diesen Konsens hielt sie dem Respekt vor den Opfern geschuldet. Dass ein solcher Konsens in unserem Stadtparlament dauerhaft entstanden ist, verdanken wir der Überzeugungskraft und der persönlichen Integrität von Angelika Thiels. Mit ihrem Namen wird dieses Bauwerk untrennbar verbunden sein.
Früherer Stadtverordnetenvorsteher
Fotograf: Oliver Hebel