Gruß­wort von Dr. Jacob Gut­mark, Mit­glied des Vor­stan­des der Jüdi­schen Gemein­de Wiesbaden

Das Ver­lo­ren­ge­gan­ge­ne wird erkennbar

Die Jüdi­sche Gemein­de bewahrt die über­lie­fer­te Identität

Dr. Jacob Gutmark, Michelsberg Wiesbaden

Dr. Jacob Gutmark

Mei­ne Erin­ne­rung an die Ursprün­ge des Nament­li­chen Geden­kens am Michels­berg reicht bis in die Mit­te der 1980er Jah­re zurück. Das Vor­ha­ben, an die Sho­ah zu erin­nern, stand von Anfang an unter dem Ein­druck einer his­to­ri­schen Beson­der­heit in den Bezie­hun­gen zwi­schen der Stadt und ihren jüdi­schen Bür­ge­rin­nen und Bür­gern. Sie war inspi­riert von dem bei­der­sei­ti­gen Wunsch, die Freund­schaft zwi­schen der Lan­des­haupt­stadt Wies­ba­den und ihrer Jüdi­schen Gemein­de zu för­dern und zu fes­ti­gen. Ergeb­nis­kon­form und ein wenig stolz auf das Erreich­te bli­cke ich also zurück auf einen lan­gen Pro­zess des Nach­den­kens, Dis­ku­tie­rens und Argu­men­tie­rens, der für mich am 9. Novem­ber 1984 begann: Es war ein kal­ter Nach­mit­tag und eine nicht son­der­lich wür­di­ge Gedenk­stun­de am Michels­berg. Der Stra­ßen­lärm ver­hin­der­te jeden Vor­trags­ver­such. Im Anschluss an die Ver­an­stal­tung spra­chen wir, d.h. der dama­li­ge Ober­bür­ger­meis­ter Dr. Hans-Joa­­chim Jentsch und ich, über die Mög­lich­keit, die Namen der Wies­ba­de­ner Opfer der Sho­ah der Öffent­lich­keit zugäng­lich zu machen, womög­lich sogar an die­sem Ort. Eini­ge Wochen zuvor hat­te Dr. Jentsch ein eigens ange­fer­tig­tes Memor­buch nach Yad Vas­hem in Jeru­sa­lem gebracht.

In der Fol­ge­zeit wur­de das Vor­ha­ben mal mehr, mal weni­ger vor­an­ge­trie­ben, und zwar immer unter Ein­be­zie­hung und Betei­li­gung der Jüdi­schen Gemein­de. Auf Anre­gung des dama­li­gen Stadt­ra­tes Jörg Bour­gett haben wir, mei­ne Frau Danie­la und ich, eini­ge Zeit spä­ter das gro­ße Buch mit den bis­her bekann­ten Namen der wäh­rend der Sho­ah ermor­de­ten Wies­ba­de­ner Jüdin­nen und Juden in Yad Vas­hem zwei­mal abge­lich­tet und die Kopien mitgebracht.

Der Gedan­ke vom Michels­berg als Gedenk­ort blieb. Ober­bür­ger­meis­ter Achim Exner bei­spiels­wei­se erwog in sei­ner Amts­zeit sogar den Wie­der­auf­bau der Syn­ago­ge am Ort. Die Jüdi­sche Gemein­de stand dem Vor­ha­ben kri­tisch gegen­über und wies dar­auf hin, dass sich zwar ein zer­stör­tes durch ein neu­es Pracht­ge­bäu­de erset­zen las­se, die jüdi­schen Men­schen, die damals ermor­det wur­den, jedoch nicht. Die Schaf­fung eines Nament­li­chen Geden­kens schien uns der pas­sen­de­re Weg.

Lothar Bem­be­nek, 1988 Grün­dungs­mit­glied des Akti­ven Muse­ums Spie­gel­gas­se, beschäf­tig­te sich schon damals inten­siv mit der Geschich­te der Juden in Wies­ba­den. Im Novem­ber 1988 erhielt ich von ihm eine erwei­ter­te Namen­lis­te jüdi­scher NS-Opfer aus unse­rer Stadt.

2000/2001 wur­de das The­ma „Nament­li­ches Geden­ken am Michels­berg” im Zusam­men­hang mit dem bevor­ste­hen­den Abriss der dor­ti­gen Hoch­brü­cke wie­der auf­ge­grif­fen. Die dama­li­ge Kul­tur­de­zer­nen­tin Rita Thies lud die Jüdi­sche Gemein­de zum Gespräch ein. Auch die dama­li­ge Vor­sit­zen­de des Akti­ven Muse­ums Spie­gel­gas­se Doro­thee Lot­t­­mann-Kae­­se­­ler war anwesend.

Ers­te Ideen wur­den ent­wi­ckelt, die vor allem aus­ge­hend von den Vor­stel­lun­gen der anwe­sen­den Ver­tre­ter der Jüdi­schen Gemein­de durch­aus schon Ähn­lich­keit mit der 2011 rea­li­sier­ten Gedenk­stät­te hatten.

2006 wur­de dann der Bau der neu­en Gedenk­stät­te am Stand­ort der Syn­ago­ge am Michels­berg auf den Weg gebracht. Seit­dem trieb die dama­li­ge Stadt­ver­ord­ne­ten­vor­ste­he­rin Ange­li­ka Thiels, seli­gen Ange­den­kens, an der Spit­ze einer Arbeits­grup­pe das Pro­jekt ener­gisch vor­an. Sie wie auch Diet­rich Schwarz, dama­li­ger Geschäfts­füh­rer der Stadt­ent­wick­lungs­ge­sell­schaft (SEG) als tat­kräf­ti­ger Mana­ger des sen­si­blen Vor­ha­bens, erwar­ben sich blei­ben­de Verdienste.

In all die­ser Zeit hat­te ich Gele­gen­heit, Men­schen aus dem Magis­trat, der Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung, den Par­tei­en, aus der Ver­wal­tung, ins­be­son­de­re dem Stadt­ar­chiv, sowie vie­le ande­re enga­gier­te Bür­ge­rin­nen und Bür­ger näher ken­nen­zu­ler­nen und wert­zu­schät­zen. Dafür bin ich dank­bar, dies umso mehr, als mit dem Vor­ha­ben, einen Gedenk­ort am Michels­berg zu schaf­fen, über­wie­gend mit Bedacht umge­gan­gen wurde.

Ideell und archi­tek­to­nisch konn­te die Gedenk­stät­te erfolg­reich her­ge­stellt wer­den. Mit dem Nament­li­chen Geden­ken am Michels­berg wird inso­weit das Ver­lo­ren­ge­gan­ge­ne wie­der erkennbar.

Die Namen der ermor­de­ten Jüdin­nen und Juden blei­ben gegen­über den rhe­to­ri­schen Bekennt­nis­sen in Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart die sicht­ba­ren und somit über­le­ge­nen his­to­ri­schen Belege.

Mit vol­lem Recht ver­ste­hen wir, die Ange­hö­ri­gen unse­rer Jüdi­schen Gemein­de, uns in die Pflicht genom­men, Bewah­rer der über­lie­fer­ten Iden­ti­tät des deut­schen Juden­tums und gleich­zei­tig Bür­ger unse­rer Stadt und die­ses Staa­tes zu sein.

Die Geschich­te der Juden in Wies­ba­den geht leben­dig, tra­di­ti­ons­reich und inno­va­tiv weiter.

Dr. Jacob Gutmark
Mit­glied des Vor­stan­des der Jüdi­schen Gemein­de Wiesbaden