Dr. Jacob Gutmark während der Grundsteinlegung.
(Fotograf: Oliver Hebel)
Verehrte Anwesende,
Namen sind für jeden von uns mehr als nur ein Hilfsmittel für die Alltagskommunikation. Mit unserem Namen drücken wir unseren Stolz und bisweilen auch Unmut gegenüber unserem Erbe aus. Für Juden sieht es nicht anders aus. Bereits die Juden in Altägypten, in Knechtschaft und Diaspora, behielten ihre jüdischen Namen. Es ist bis heute so. Hiermit war die Möglichkeit gegeben, um ein zusammenhängendes Volk zu bleiben und für die Erlösung Wert zu sein.
Der Jüdische Name ist für uns die Verbindung zum Allmächtigen. Da der Name mit seinen hebräischen Buchstaben, der Kabalah nach, das Schicksal eines jüdischen Kindes wesentlich mit bestimmt, erleben die Namen gebenden Eltern eine prophetische Eingebung.
Die Namen der Juden spiegeln deutlicher als alles andere, seit Jahrtausenden von Verfolgung und Vertreibung, die wechselvolle Geschichte des jüdischen Volkes wider. Jede neue Umgebung mit der neuen Sprache und neuen Sitten hat auch Folgen in der Wahl der Namen hinterlassen. Trotz neuer Namen wurde parallel an den alten Namen der Vorväter aus inniger Traditionalität festgehalten.
Ein jüdischer Junge erhält seinen Namen mit der Beschneidung am achten Tag nach seiner Geburt, ein Mädchen bei der ersten Gelegenheit in der Synagoge. Unser Name ist der Schlüssel, auch für die religiösen Angelegenheiten, zu Entkodifizierung unseres gesellschaftlichen Status und Rolle, der Name kann auch Auskunft über innergemeindliche Funktionen geben. Er begleitet uns Juden von der Namensgebung an und bis zu unserem Tode.
Das wichtigste Element dann, das in jeder Grabsteininschrift genannt wird, ist der Name des oder der Verstorbenen. Nach dem Namen ist das Sterbedatum das wesentliche Element einer hebräischen Grabinschrift. Das Geburtsdatum, wie auch das Einbringen von günstigen Attributen der Person (sog. Eulogie) ist nicht zwingend. Die Einleitungsformel „hier ist begraben“ und der Schlusssegen: „Seine/ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens“, werden, in Initialen, selbstverständlich angebracht. Die wichtigen Funktionen einer Person innerhalb der Gemeinschaftwerden häufig besonders hervorgehoben. Es sind die Grundvoraussetzungen, um sich an eine bestimmte Person zu erinnern, ihrer zu gedenken.
In jener Nacht vor beinah 72 Jahren, wurde hier und in ganz Deutschland die kulturelle und gesellschaftliche Zerstörung von jüdischem Leben auf unmissverständliche Weise begonnen, und wie wir wissen, in den folgenden Jahren noch tausendmal grausamer und unmenschlicher fortgesetzt.
Unsere Ahnen, auch die jüdischen Menschen aus Wiesbaden, nahmen zu viele Erinnerungen mit in die Vernichtung oder – wenn es eines gab – mit ins Grab, unwiderruflich mit. Ihnen wurde es auch verwehrt, ihre menschliche Linie fortzusetzen, Familien zu gründen, Kinder zu bekommen. Beraubt wurde ihr Recht, Mensch und Jude zu sein, zu leben.
Für die, denen all dies verwehrt worden war, sprach der Prophet Jesaja (56/5) lange vor unserer Zeit: „Ihnen gebe ich in meinem Haus, in meinen Mauern, ein Handzeichen, ein Namensmal, besser als Söhne und Töchter; ich gebe ihnen ewige Namen, die nie mehr getilgt werden.“ Dieser Spruch wird auf der Informationstafel dort immer zu lesen sein.
Mit der hier heute eingeleiteten Gedenk- und Erinnerungsarbeit, festgemacht an den Namen der Nazi-Opfer, wenn Gott will, wird ein Handzeichen, ein Namensmal (Yad Vashem) eingerichtet, das nicht nur für eine Elite verschlüsselt bleibt. Sondern wird einer breiteren Menschenschicht für ewig zugänglich bleiben. Es wird helfen, Schwellenängste von Menschen hierzulande zu überwinden, sich der Erinnerung an die Schrecken von damals hinzugeben, davon zu lernen.
Die Namen der aus dem Stadtbild herausgerissenen Gruppe anständiger jüdischer Menschen werden die Wahrheit etwas näher bringen, den Opfern ein Stück Würde zurückgeben.
Schalom!
Dr. Jacob Gutmark
Mitglied des Vorstandes der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden