Rede von Dr. Jacob Gut­mark von der Jüdi­schen Gemein­de zur Grund­stein­le­gung, 21. Mai 2010

Namen sind die Ver­bin­dung zum Allmächtigen

Dr. Jacob Gutmark, Michelsberg Wiesbaden

Dr. Jacob Gut­mark wäh­rend der Grundsteinlegung.
(Foto­graf: Oli­ver Hebel)

Ver­ehr­te Anwesende,

Namen sind für jeden von uns mehr als nur ein Hilfs­mit­tel für die All­tags­kom­mu­ni­ka­ti­on. Mit unse­rem Namen drü­cken wir unse­ren Stolz und bis­wei­len auch Unmut gegen­über unse­rem Erbe aus. Für Juden sieht es nicht anders aus. Bereits die Juden in Alt­ägyp­ten, in Knecht­schaft und Dia­spo­ra, behiel­ten ihre jüdi­schen Namen. Es ist bis heu­te so. Hier­mit war die Mög­lich­keit gege­ben, um ein zusam­men­hän­gen­des Volk zu blei­ben und für die Erlö­sung Wert zu sein.

Der Jüdi­sche Name ist für uns die Ver­bin­dung zum All­mäch­ti­gen. Da der Name mit sei­nen hebräi­schen Buch­sta­ben, der Kaba­lah nach, das Schick­sal eines jüdi­schen Kin­des wesent­lich mit bestimmt, erle­ben die Namen geben­den Eltern eine pro­phe­ti­sche Eingebung.

Die Namen der Juden spie­geln deut­li­cher als alles ande­re, seit Jahr­tau­sen­den von Ver­fol­gung und Ver­trei­bung, die wech­sel­vol­le Geschich­te des jüdi­schen Vol­kes wider. Jede neue Umge­bung mit der neu­en Spra­che und neu­en Sit­ten hat auch Fol­gen in der Wahl der Namen hin­ter­las­sen. Trotz neu­er Namen wur­de par­al­lel an den alten Namen der Vor­vä­ter aus inni­ger Tra­di­tio­na­li­tät festgehalten.

Ein jüdi­scher Jun­ge erhält sei­nen Namen mit der Beschnei­dung am ach­ten Tag nach sei­ner Geburt, ein Mäd­chen bei der ers­ten Gele­gen­heit in der Syn­ago­ge. Unser Name ist der Schlüs­sel, auch für die reli­giö­sen Ange­le­gen­hei­ten, zu Ent­ko­di­fi­zie­rung unse­res gesell­schaft­li­chen Sta­tus und Rol­le, der Name kann auch Aus­kunft über inner­ge­meind­li­che Funk­tio­nen geben. Er beglei­tet uns Juden von der Namens­ge­bung an und bis zu unse­rem Tode.

Das wich­tigs­te Ele­ment dann, das in jeder Grab­stein­in­schrift genannt wird, ist der Name des oder der Ver­stor­be­nen. Nach dem Namen ist das Ster­be­da­tum das wesent­li­che Ele­ment einer hebräi­schen Grab­in­schrift. Das Geburts­da­tum, wie auch das Ein­brin­gen von güns­ti­gen Attri­bu­ten der Per­son (sog. Eulo­gie) ist nicht zwin­gend. Die Ein­lei­tungs­for­mel „hier ist begra­ben“ und der Schluss­se­gen: „Seine/ihre See­le sei ein­ge­bun­den in das Bün­del des Lebens“, wer­den, in Initia­len, selbst­ver­ständ­lich ange­bracht. Die wich­ti­gen Funk­tio­nen einer Per­son inner­halb der Gemein­schaft­wer­den häu­fig beson­ders her­vor­ge­ho­ben. Es sind die Grund­vor­aus­set­zun­gen, um sich an eine bestimm­te Per­son zu erin­nern, ihrer zu gedenken.

In jener Nacht vor bei­nah 72 Jah­ren, wur­de hier und in ganz Deutsch­land die kul­tu­rel­le und gesell­schaft­li­che Zer­stö­rung von jüdi­schem Leben auf unmiss­ver­ständ­li­che Wei­se begon­nen, und wie wir wis­sen, in den fol­gen­den Jah­ren noch tau­send­mal grau­sa­mer und unmensch­li­cher fortgesetzt.

Unse­re Ahnen, auch die jüdi­schen Men­schen aus Wies­ba­den, nah­men zu vie­le Erin­ne­run­gen mit in die Ver­nich­tung oder – wenn es eines gab – mit ins Grab, unwi­der­ruf­lich mit. Ihnen wur­de es auch ver­wehrt, ihre mensch­li­che Linie fort­zu­set­zen, Fami­li­en zu grün­den, Kin­der zu bekom­men. Beraubt wur­de ihr Recht, Mensch und Jude zu sein, zu leben.

Für die, denen all dies ver­wehrt wor­den war, sprach der Pro­phet Jesa­ja (56/5) lan­ge vor unse­rer Zeit: „Ihnen gebe ich in mei­nem Haus, in mei­nen Mau­ern, ein Hand­zei­chen, ein Namens­mal, bes­ser als Söh­ne und Töch­ter; ich gebe ihnen ewi­ge Namen, die nie mehr getilgt wer­den.“ Die­ser Spruch wird auf der Infor­ma­ti­ons­ta­fel dort immer zu lesen sein.

Mit der hier heu­te ein­ge­lei­te­ten Gedenk- und Erin­ne­rungs­ar­beit, fest­ge­macht an den Namen der Nazi-Opfer, wenn Gott will, wird ein Hand­zei­chen, ein Namens­mal (Yad Vas­hem) ein­ge­rich­tet, das nicht nur für eine Eli­te ver­schlüs­selt bleibt. Son­dern wird einer brei­te­ren Men­schen­schicht für ewig zugäng­lich blei­ben. Es wird hel­fen, Schwel­len­ängs­te von Men­schen hier­zu­lan­de zu über­win­den, sich der Erin­ne­rung an die Schre­cken von damals hin­zu­ge­ben, davon zu lernen.

Die Namen der aus dem Stadt­bild her­aus­ge­ris­se­nen Grup­pe anstän­di­ger jüdi­scher Men­schen wer­den die Wahr­heit etwas näher brin­gen, den Opfern ein Stück Wür­de zurückgeben.

Scha­lom!

Dr. Jacob Gutmark
Mit­glied des Vor­stan­des der Jüdi­schen Gemein­de Wiesbaden