Rede des frü­he­ren Stadt­ver­ord­ne­ten­vor­ste­hers Wolf­gang Nickel zur Grund­stein­le­gung, 21. Mai 2010

Aus der Anony­mi­tät ins Licht geholt

Wolfgang Nickel, Michelsberg Wiesbaden

Wolf­gang Nickel wäh­rend der Grundsteinlegung.
(Foto­graf: Oli­ver Hebel)

Sehr geehr­ter Herr Ober­bür­ger­meis­ter, ver­ehr­te Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung und Magis­trat, lie­ber Herr Dr. Gut­mark, sehr geehr­te Frau Wille­cke, mei­ne Damen und Herren,

eine Idee beginnt, Rea­li­tät zu wer­den. Heu­te gehen wir den ers­ten Schritt. Heu­te legen wir den Grund­stein für ein Mahn­mal, wel­ches an das dun­kels­te Kapi­tel der deut­schen Ver­gan­gen­heit erin­nert. Ein Mahn­mal, wel­ches uns bewusst macht, dass unter der Herr­schaft der Natio­nal­so­zia­lis­ten auch in unse­rer Stadt Men­schen jüdi­schen Glau­bens ver­schleppt, in Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger depor­tiert und schließ­lich ermor­det wurden.

Das Mahn­mal am Michels­berg soll ins Bewusst­sein rücken, dass die Sho­ah auch ein Teil unse­rer eige­nen Stadt­ge­schich­te ist, und nicht nur irgend­wo im fer­nen Ber­lin oder Nürn­berg geschah. Wie in vie­len ande­ren deut­schen Städ­ten brann­ten auch die Wies­ba­de­ner Syn­ago­gen. Auch bei uns wur­den Men­schen jüdi­schen Glau­bens nicht vor dem Wüten des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ungeis­tes bewahrt.

Dar­an soll das Mahn­mal erin­nern. Die Namen aller Wies­ba­de­ner Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, von denen wir wis­sen, dass sie der Sho­ah zum Opfer fie­len, wer­den hier unaus­lösch­lich auf­ge­führt sein. Ein beleuch­te­tes Schrift­band in Augen­hö­he nennt die Namen der Opfer. Die­se wer­den damit aus der Anony­mi­tät ans Licht geholt und bekom­men im öffent­li­chen Raum ihre Identität.
So wird Erin­ne­rung per­sön­lich, und so setzt das Mahn­mal ein unver­wech­sel­ba­res Zei­chen in unse­rer Stadt.

Jeder soll wis­sen und spü­ren: Die, die hier genannt sind — das waren unse­re Mit­bür­ge­rin­nen und Mit­bür­ger. Auch wir in Wies­ba­den wol­len und müs­sen die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem dama­li­gen Gesche­hen füh­ren. Ich hal­te das für sehr wich­tig, denn eine Stadt­ge­sell­schaft braucht zu ihrer Selbst­ach­tung gera­de auch den ehrlichen
Umgang mit ihrer eige­nen Vergangenheit.

Die Wun­de, die dem Stadt­bild damals mit der Zer­stö­rung der Syn­ago­ge zuge­fügt wur­de, wird heu­te nicht geschlos­sen. Denn die Syn­ago­ge bau­en wir nicht neu, son­dern ihr Umriss wird auf dem Boden des Mahn­mals und auf der Fahr­bahn ledig­lich ange­deu­tet. Es ist aber auch nicht das wesent­li­che Ziel des Bau­werks, Altes zu kopie­ren oder gar zu hei­len, was nicht zu hei­len ist. Das, was hier ent­steht, ist letzt­lich Stein gewor­de­ne Verantwortung.

Eine Ver­ant­wor­tung, die uns unse­re Stadt­ge­schich­te auf­er­legt hat. Eine Ver­ant­wor­tung, die uns in Zukunft ver­pflich­tet: Nie wie­der dür­fen in Wies­ba­den Got­tes­häu­ser bren­nen, gleich wel­cher Glau­bens­rich­tung. Nie wie­der soll in unse­rer Stadt Raum sein für Hass und Gewalt gegen unse­re Mit­bür­ger. Nie wie­der dür­fen Men­schen, die hier mit uns leben, Opfer von Ter­ror, Ver­fol­gung und Ver­nich­tung werden.

Wir alle, jede Bür­ge­rin und jeder Bür­ger, jede Poli­ti­ke­rin und jeder Poli­ti­ker, jeder, der hier sei­ne Hei­mat hat, trägt dafür eine Mit­ver­ant­wor­tung. Jeder an sei­nem Platz hat sei­nen Teil dazu bei­zu­tra­gen, dass in Wies­ba­den ein Kli­ma des inne­ren Frie­dens und der gegen­sei­ti­gen Tole­ranz herrscht. Her­aus­steh­len kann sich da nie­mand. Wie alle gro­ßen Pro­jek­te hat auch unser Mahn­mal zum Nament­li­chen Geden­ken eine lan­ge Vor­lauf­zeit. Vie­le arbei­te­ten mit, von den ers­ten Visio­nen, Ideen und Kon­zep­ten über eine immer wei­ter kon­kre­ti­sier­te Pla­nung bis hin zur Errich­tung, deren Beginn wir mit der heu­ti­gen Grund­stein­le­gung offi­zi­ell fei­ern. Unter der pro­fes­sio­nel­len Regie der SEG fan­den zahl­lo­se Arbeits­grup­pen­sit­zun­gen statt. Die Archi­tek­tin, Frau Wille­cke, hat mit Ihrem Team einen her­vor­ra­gen den Ent­wurf gestal­tet. Vie­le Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter der Stadt­ver­wal­tung, ins­be­son­de­re das Stadt­ar­chiv und das Stadt­pla­nungs­amt, haben enga­giert mit­ge­ar­bei­tet. Das Mahn­mal wäre undenk­bar ohne die über­aus wert­vol­len Bei­trä­ge der Jüdi­schen Gemein­de und des Akti­ven Muse­ums Spie­gel­gas­se. Sie haben ent­schei­den­den Anteil an Aus­sa­ge, Ziel­set­zung und Sinn des Mahn­mals. Allen, die mit­wirk­ten und noch wei­ter mit­ar­bei­ten wer­den, gilt mein gro­ßer Dank.

Einen Namen will ich ganz beson­ders nen­nen. Für Ange­li­ka Thiels, mei­ner Vor­gän­ge­rin im Amt des Stadt­ver­ord­ne­ten­vor­ste­hers, war das Mahn­mal zum Nament­li­chen Geden­ken eine Her­zens­an­ge­le­gen­heit. Mit ihrer gan­zen Kraft, mit gro­ßer Lei­den­schaft und mit der ihr eige­nen unbän­di­gen Ener­gie hat sie die­ses Pro­jekt vor­an­ge­trie­ben. Lei­der darf sie die heu­ti­ge Grund­stein­le­gung nicht mehr erle­ben. Ange­li­ka Thiels hat immer betont, wie froh sie sei, dass das Pro­jekt in gro­ßer über­par­tei­li­cher Über­ein­stim­mung rea­li­siert wird und nicht Gegen­stand eines klein­li­chen Par­tei­en­streits ist. Die­sen Kon­sens hielt sie dem Respekt vor den Opfern geschul­det. Dass ein sol­cher Kon­sens in unse­rem Stadt­par­la­ment dau­er­haft ent­stan­den ist, ver­dan­ken wir der Über­zeu­gungs­kraft und der per­sön­li­chen Inte­gri­tät von Ange­li­ka Thiels. Mit ihrem Namen wird die­ses Bau­werk untrenn­bar ver­bun­den sein.

Wolf­gang Nickel
Frü­he­rer Stadtverordnetenvorsteher
Dr. Jacob Gutmark,Dr. Helmut Müller, Michelsberg Wiesbaden
Wolfgang Nickel, Michelsberg Wiesbaden
Dr. Jacob Gutmark, Michelsberg Wiesbaden

Foto­graf: Oli­ver Hebel